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(#) im aktuellen 20er durfte ich einen artikel über den film avant-drag! samt interview mit dem regisseur fil ieropoulos schreiben, der heute beim iffi innsbruck-premiere hat. falls es aus meinen artikel nicht klar genug wird: schaut euch diesen film an!
(plain text direkt nach dem bild!)
und zur besseren lesbarkeit hier nochmal als plain text:
„Keine Rückkehr zur Normalität“
Der Film Avant-Drag! überrascht, berührt, verstört, bezaubert. Er ist der diesjährige 20er-Patenfilm beim beim Internationalen Filmfestival Innsbruck.
Text: Martin Fritz
Drag als Kunstform, in der queere Menschen mit sehr viel Make-Up, Perücken und Kleidung ihre eigenen Bühnenfiguren kreieren, ist zuletzt auch bei einem nicht-queeren Publikum populär geworden. Zu keinem geringen Teil ist das das Verdienst der TV-Show „RuPaul’s Drag Race“ (kurz: RPDR), die es bisher auf 16 Staffeln im Heimatmarkt USA und zahlreiche internationale Ableger gebracht hat. Bei RPDR performen Drag Artists um die Wette als lustige, übertriebene, ernste, gegen gängige Ästhetiken und Erwartungen gerichtete Kunstfiguren – freilich in dem Rahmen, den eine kommerzielle Fernsehsendung vorgibt.
Historischer Bezug von RPDR wie von Drag allgemein ist die New Yorker Ballroom Culture der Achtziger, die in der einflussreichen Doku „Paris Is Burning“ porträtiert wurde. An diesem Film wurde kritisiert, dass die Regisseurin Jennie Livingston damit Profit aus einer Szene geschlagen hat, von der sie selbst kein Teil war. Ein Vorwurf, der dem Regisseur von „Avant-Drag!“, Fil Ieropoulos, nicht gemacht werden kann. Er erzählt: „Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren in der queeren Kunstszene von Athen und das ist unabdingbar für mich: Dass ich eine Doku über eine Szene mache, die ich sehr gut kenne. Ich mache nicht mal einfach so eine Doku über irgendwas, und gehe dann weiter zum nächsten Thema. Von außen auf eine Subkultur schauen – das ist einfach nicht mein Stil.“ Das ist dem Film mit seinen intimen Porträts von Athener Drag Artists auch anzusehen. Deren Stil wiederum könnte kaum weiter vom auf Hochglanz polierten RPDR entfernt sein. Avant-Drag! schafft es, sowohl Leute zu überraschen, die noch nie von Drag gehört haben, als auch Leute, die glauben, zu wissen, was Drag sei, weil sie eine Folge RPDR gesehen haben.
Die in Avant-Drag! vorgestellten Performer sind zwar stark verschieden: etwa die mit Religion, Sexualität und ihrer Migrationsgeschichte spielende Er Libido, oder Aurora Paola Morado, eine exaltierte albanische Turbo-Folk-Sängerin, oder Cotsos’ forschende und herausfordernde Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Doch radikal, experimentell und rau sind sie alle. Ihr spielerisches über die Spitze Treiben, wie Geschlechter und Nationalitäten konstruiert und gelebt werden, ist dabei imminent politisch. Das liegt auch an der sie umgebenden Gesellschaft, so Regisseur Ieropoulos: „Ich würde sagen, dass die athenische Drag-Szene eine der politischsten ist, und das liegt vielleicht genau daran, dass die griechische Realität eine der machohaftesten und unterdrückerischsten in Europa ist.“
Das bekam die Film-Crew auch zu spüren: Bei einem Festival in Thessaloniki, wo der Film gezeigt wurde, wurden trans Personen tätlich angegriffen und die Film-Crew online mit Hass- und Drohbotschaften überschüttet. Ieropoulos konstatiert: „Das ist die Realität des Lebens in einer sehr fundamentalistischen christlichen Gesellschaft. Queere Menschen sind nie wirklich sicher.“ Dennoch und gerade deshalb sei er aber „froh, dass wir da waren, um unser Statement abzugeben.“
Der Radikalität der Drag Performances entspricht die Machart des Films, der anders als gängige Filme über Drag nicht einfach Auftritte in drag und Interviews mit den Performern out of drag zeigt, sondern diese Grenzen ganz bewusst verwischt. Wie Ieropoulos erklärt: „Ich habe das Gefühl, dass eine journalistische Doku über Drag dem eigentlichen Wesen von Drag nicht gerecht wird. Für fast alle – wenn nicht alle – der vorgestellten Artists sind ihre Rollen keine Show, sie sind Alter Egos oder überschneiden sich manchmal sogar mit ihrem tatsächlichen Selbst. Deshalb fühlte es sich angemessener an, die Rollen und das Leben der Darstellenden auf eine fast surreale Art und Weise zu verschmelzen, statt zu sagen: ‚Dies ist ein Ort, an den wir gehen und unsere Show machen und dann zur Normalität zurückkehren.‘“
Wie dieser radikale Ansatz ankommt? Ieropoulos: „Manchmal überrascht uns der Mainstream. „Avant-Drag!“ wurde bisher von sehr unterschiedlichen Publika geliebt und hat Menschen berührt, die eigentlich überhaupt keinen persönlichen Bezug zu queeren Kulturen haben. Und das ist für mich der größte Erfolg.“
***
übrigens hat es folgender schlusssatz wegen des zeichenlimits nicht in die finale version geschafft: Einen solchen wünsche ich dem Film auch beim IFFI. Und hinterher überzeugt euch bitte von der Vielseitigkeit und Radikalität auch der Innsbrucker Drag-Szene, indem ihr eine Show von Sindy’s Angels oder eine der um das Queere Chaos Kollektiv entstandenen Drag Familie Magic Inn besucht. am samstag 1.7. wird der film noch einmal gezeigt, hinterher gibt es (was ich beim schreiben noch nicht wusste) eine drag-show von magic inn – es wächst zusammen, was zusammen gehört.
(plain text direkt nach dem bild!)
und zur besseren lesbarkeit hier nochmal als plain text:
„Keine Rückkehr zur Normalität“
Der Film Avant-Drag! überrascht, berührt, verstört, bezaubert. Er ist der diesjährige 20er-Patenfilm beim beim Internationalen Filmfestival Innsbruck.
Text: Martin Fritz
Drag als Kunstform, in der queere Menschen mit sehr viel Make-Up, Perücken und Kleidung ihre eigenen Bühnenfiguren kreieren, ist zuletzt auch bei einem nicht-queeren Publikum populär geworden. Zu keinem geringen Teil ist das das Verdienst der TV-Show „RuPaul’s Drag Race“ (kurz: RPDR), die es bisher auf 16 Staffeln im Heimatmarkt USA und zahlreiche internationale Ableger gebracht hat. Bei RPDR performen Drag Artists um die Wette als lustige, übertriebene, ernste, gegen gängige Ästhetiken und Erwartungen gerichtete Kunstfiguren – freilich in dem Rahmen, den eine kommerzielle Fernsehsendung vorgibt.
Historischer Bezug von RPDR wie von Drag allgemein ist die New Yorker Ballroom Culture der Achtziger, die in der einflussreichen Doku „Paris Is Burning“ porträtiert wurde. An diesem Film wurde kritisiert, dass die Regisseurin Jennie Livingston damit Profit aus einer Szene geschlagen hat, von der sie selbst kein Teil war. Ein Vorwurf, der dem Regisseur von „Avant-Drag!“, Fil Ieropoulos, nicht gemacht werden kann. Er erzählt: „Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren in der queeren Kunstszene von Athen und das ist unabdingbar für mich: Dass ich eine Doku über eine Szene mache, die ich sehr gut kenne. Ich mache nicht mal einfach so eine Doku über irgendwas, und gehe dann weiter zum nächsten Thema. Von außen auf eine Subkultur schauen – das ist einfach nicht mein Stil.“ Das ist dem Film mit seinen intimen Porträts von Athener Drag Artists auch anzusehen. Deren Stil wiederum könnte kaum weiter vom auf Hochglanz polierten RPDR entfernt sein. Avant-Drag! schafft es, sowohl Leute zu überraschen, die noch nie von Drag gehört haben, als auch Leute, die glauben, zu wissen, was Drag sei, weil sie eine Folge RPDR gesehen haben.
Die in Avant-Drag! vorgestellten Performer sind zwar stark verschieden: etwa die mit Religion, Sexualität und ihrer Migrationsgeschichte spielende Er Libido, oder Aurora Paola Morado, eine exaltierte albanische Turbo-Folk-Sängerin, oder Cotsos’ forschende und herausfordernde Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Doch radikal, experimentell und rau sind sie alle. Ihr spielerisches über die Spitze Treiben, wie Geschlechter und Nationalitäten konstruiert und gelebt werden, ist dabei imminent politisch. Das liegt auch an der sie umgebenden Gesellschaft, so Regisseur Ieropoulos: „Ich würde sagen, dass die athenische Drag-Szene eine der politischsten ist, und das liegt vielleicht genau daran, dass die griechische Realität eine der machohaftesten und unterdrückerischsten in Europa ist.“
Das bekam die Film-Crew auch zu spüren: Bei einem Festival in Thessaloniki, wo der Film gezeigt wurde, wurden trans Personen tätlich angegriffen und die Film-Crew online mit Hass- und Drohbotschaften überschüttet. Ieropoulos konstatiert: „Das ist die Realität des Lebens in einer sehr fundamentalistischen christlichen Gesellschaft. Queere Menschen sind nie wirklich sicher.“ Dennoch und gerade deshalb sei er aber „froh, dass wir da waren, um unser Statement abzugeben.“
Der Radikalität der Drag Performances entspricht die Machart des Films, der anders als gängige Filme über Drag nicht einfach Auftritte in drag und Interviews mit den Performern out of drag zeigt, sondern diese Grenzen ganz bewusst verwischt. Wie Ieropoulos erklärt: „Ich habe das Gefühl, dass eine journalistische Doku über Drag dem eigentlichen Wesen von Drag nicht gerecht wird. Für fast alle – wenn nicht alle – der vorgestellten Artists sind ihre Rollen keine Show, sie sind Alter Egos oder überschneiden sich manchmal sogar mit ihrem tatsächlichen Selbst. Deshalb fühlte es sich angemessener an, die Rollen und das Leben der Darstellenden auf eine fast surreale Art und Weise zu verschmelzen, statt zu sagen: ‚Dies ist ein Ort, an den wir gehen und unsere Show machen und dann zur Normalität zurückkehren.‘“
Wie dieser radikale Ansatz ankommt? Ieropoulos: „Manchmal überrascht uns der Mainstream. „Avant-Drag!“ wurde bisher von sehr unterschiedlichen Publika geliebt und hat Menschen berührt, die eigentlich überhaupt keinen persönlichen Bezug zu queeren Kulturen haben. Und das ist für mich der größte Erfolg.“
***
übrigens hat es folgender schlusssatz wegen des zeichenlimits nicht in die finale version geschafft: Einen solchen wünsche ich dem Film auch beim IFFI. Und hinterher überzeugt euch bitte von der Vielseitigkeit und Radikalität auch der Innsbrucker Drag-Szene, indem ihr eine Show von Sindy’s Angels oder eine der um das Queere Chaos Kollektiv entstandenen Drag Familie Magic Inn besucht. am samstag 1.7. wird der film noch einmal gezeigt, hinterher gibt es (was ich beim schreiben noch nicht wusste) eine drag-show von magic inn – es wächst zusammen, was zusammen gehört.
mauszfabrick - 29.05.24 - popular culture (does still apply to me)